Nicht nach Fahrplan fahren, sondern nach Bedarf
2.5.23
Wie die Autonome Mobilität uns mehr Freiheit und Flexibilität schenkt und uns eine Lösung für den Fachkräftemangel liefert
Die Autonome Mobilität kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten die Lebensqualität für die Menschen zu steigern, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Noch fehlen in Deutschland allerdings die gesellschaftliche Akzeptanz und das Vertrauen in die neue Technologie, obwohl sie bereits jetzt auf dem Land, auf dem Wasser und in der Luft möglich ist. Der Wandel zur autonomen Mobilität braucht Zeit, den richtigen gesetzlichen Rahmen zum Ausprobieren und positive Anwendungsfälle in der Praxis.
Sind wir überhaupt bereit für die Autonome Mobilität?
Deutschland ist das Land der Innovatoren, Entwickler und Ingenieure. 1886 erfand Carl Benz das erste Auto. Sein Patent für ein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ ebnete den Weg für eine neue Mobilität. Nicht minder disruptiv war die Erfindung des ersten Computers durch Konrad Zuse in Berlin-Kreuzberg, der damit das Zeitalter der Digitalisierung einläutete. Beide Erfindungen wurden anfangs mit großer Sorge betrachtet, erfuhren teils heftigen Widerstand und gesellschaftliche Ablehnung. Heutzutage sind Computer, Handys und andere Smart Devices aus dem (Arbeits-)Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken.
Die Geschichte scheint sich bei der Technologie der autonomen Mobilität zu wiederholen, zumindest in Deutschland und mit Blick auf den Verkehrsbereich: Nach einer aktuellen Erhebung des Management- und IT-Beratungsunternehmens MHP, zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, ist nur jeder dritte Deutsche bereit, seinen Weg zur Arbeit in einem autonomen Transportmittel zurückzulegen. Nur ein Viertel der deutschen Autobesitzer kann sich einen kompletten Umstieg auf ein autonomes Fahrzeug vorstellen. Die Skepsis gegenüber autonomer Mobilität ist sicherlich nachvollziehbar, da diese Technologie für viele von uns bislang eher nach Science Fiction klingt.
Dass die Bereitschaft aber vorhanden ist, zeigt der internationale Vergleich. Hiernach sind es sogar 70% der Menschen, die auf ihr Auto zugunsten autonomer Fahrzeugkonzepte verzichten würden. Die Zahlen zeigen: In Deutschland braucht es Zeit und mehr positive Anwendungsfälle in der Praxis, um die Bedenken in der Gesellschaft abzubauen.
Wo stehen wir mit der Technik heute?
In meiner Geburtsstadt Nürnberg erfolgt zum Beispiel der Betrieb der U-Bahnlinien U3 und U2 schon seit 2008 bzw. 2010 autonom. Ein Computer überwacht und steuert die Züge, die in einem 100-Sekunden-Takt und damit doppelt so häufig wie bei manueller Steuerung fahren können. Die Fahrgäste freut es, doch ganz menschenfrei funktioniert die Fahrt nicht. In einer Leitstelle können Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe jeder Zeit bei einem Notfall eingreifen.
Auch in der Hauptstadt Berlin erproben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) seit 2018 auf nicht öffentlichen und öffentlichen Straßen den Einsatz von selbstfahrenden „Peoplemovern“, also kleinen Ride-Pooling-Vans, mit Begleitperson. Weiter westlich bereiten sich die Städte Darmstadt und Offenbach auf die ersten fahrerlosen On-Demand-Shuttles im öffentlichen Nahverkehr vor. Ab Mai 2023 wird hier der Einsatz der autonomen Shuttles im Straßenverkehr über eine Dauer von zwei Jahren getestet.
Der Erfolg dieses neuen Mobilitätsangebotes wäre ein wirklicher Gewinn für den ÖPNV, insbesondere für ländlichere Regionen. Denn es könnte eine Lösung für den akuten Fachkräftemangel im Nahverkehr sein.
Mehr Flexibilität, Lebensqualität und Sicherheit
Wenn Autos zukünftig selber lenken, kann das zu mehr Lebensqualität führen: Autonome Fahrzeuge fahren effizienter und unser Verkehr wird leiser und emissionsärmer. Die Zeit in einem Fahrzeug kann für andere Dinge als das Führen eines Fahrzeuges genutzt werden. Und auch im ÖPNV können autonome Shuttlebusse einen großen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit leisten, in dem sie beispielsweise bisher nicht verbundene Gegenden auf dem Land smart und effizient miteinander verknüpfen.
Zusätzlich werden wir einen riesigen Schritt bei der Verkehrssicherheit und unserem Ziel der „Vision Zero“ – also null Unfalltoten – haben: neun von zehn Unfällen sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Autonome Systeme können deutlich sicherer sein. Denn die Technik ist weniger fehleranfällig als der Mensch, lässt sich nicht ablenken und die Reaktionszeit ist nicht von der Tagesform abhängig.
Autonome Mobilität kann auch eine Chance sein, unsere Städte mittelfristig neu zu denken. Wenn z. B. der Besitz an Privat-Pkw sinkt, weniger Flächen für Parkplätze gebraucht werden, ließe sich der urbane Raum zum Beispiel für Park- und Grünflächen, Logistikflächen oder Urban Farming umgestalten.
Deutschlands Vorreiterrolle beim autonomen Fahren
Damit die Erprobung und Weiterentwicklung der Autonomen Mobilität in der Praxis gelingen kann, muss zunächst der Rechtsrahmen stimmen. Zusätzlich muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Forschung schnell den Weg von den Testfeldern in die Alltagsanwendung findet. Für das autonome Fahren hat die Bundesregierung daher im Sommer 2022 die letzten gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass der Einsatz von vollautonomen Kraftfahrzeugen ohne Fahrer – das sog. Level 4-Fahren – in festgelegten Bereichen im öffentlichen Straßenverkehr erlaubt. Bislang war die Anwesenheit eines Fahrers Pflicht und autonome Systeme durften nur bestimmte Fahraufgaben selbstständig und ohne menschlichen Eingriff übernehmen (Level 3). Mit diesen gesetzlichen Regelungen ist Deutschland weltweit Pionier.
Auch das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderte Pilotprojekt der autonomen On-Demand Shuttles der Deutschen Bahn, dem Rhein-Main-Verkehrsverbund und lokalen Partnern in Hessen ist derzeit ein weltweit einzigartiges Projekt. Begrüßenswert ist auch der Vorstoß aus Hamburg, eine Flotte von 10 000 autonom fahrenden Autos in den nächsten Jahren aufzubauen und die Hafenstadt zu einer „Metropol-Modellregion Mobilität“ entwickeln zu wollen. Langfristig werden genau solche Projekte darüber entscheiden, ob sich die Vorteile autonomer Mobilität in der Gesellschaft durchsetzen können und Deutschland die Vorreiterrolle beibehält.
Fazit: Carl Benz stieß mit seinem „Motorwagen Nummer 1“ zunächst auf viel Skepsis. Keiner hatte gedacht, dass seine Erfindung bahnbrechend für die Menschheit und die Mobilität sein könnte. Autonome Systeme werden unser Leben ebenfalls nachhaltig verändern und ich bin mir sicher, dass die erfolgreiche Anwendung dieser Systeme in der Praxis auch die letzten Skeptiker überzeugen wird. Wir brauchen die Autonome Mobilität, um uns im Verkehrsbereich weiterzuentwickeln.